Starke Wurzeln
Wenn wir von Traditionen reden, dann sind es Aspekte der Kultur, die nicht mit einer Generation zu Ende gehen, sondern auch an die nächsten weitergegeben werden. Sie sind eine Zusammenführung von Fähigkeiten, Wissen und Werten, die man erlernt, wenn man Teil einer bestimmten Gemeinschaft ist.
Im Grödnertal leben seit jeher die Ladiner, eine Volksgruppe, die Aspekte des europäischen Erbes und der lateinischen Welt in sich vereint. Menschen, die schon seit immer in einfachen, bescheidenen Häusern lebten, die als Bauern arbeiteten und stolz auf ihre Vergangenheit sind. Arbeiter und Hüter der Geheimnisse und Legenden ihrer Gegend, die immer eng verbunden sind mit ihrem Land und ihren Mitmenschen.
Gerade diese Abgeschiedenheit hat es ermöglicht, dass sich die verschiedensten Bräuche bis zum heutigen Tag erhalten haben. Mit der Entstehung der Nationalstaaten und der Entdeckung der Dolomiten gerieten die ladinischen Täler rund um den Sellastock (Livinallongo, Cortina d’Ampezzo, Gadertal, Grödnertal und Fassatal) in den Mittelpunkt der Interessenkonflikte und gerade in dieser Zeit entstand eine starke ladinische Identität, die im 20. Jahrhundert weiter gefestigt wurde. Seit den 1970ern wird die ladinische Identität – sie umfasst Sprache, Kultur, Schule, Radio, TV (einschließlich der RAI) und eine Zeitung in ladinischer Sprache – von der Landesverwaltung geschützt.
Wie drückt sich diese Kultur aus? Auf vielfältige Weise und in viele Facetten, aber wenn wir die wichtigsten Formen zusammenfassen wollen, dann können wir von der Sprache, der Kunst, der Küche und den Bräuchen sprechen.
Das Ladinische ist neben dem Italienischen, dem Deutschen und dem Englischen die wichtigste Ausdrucksform im Grödnertal. Es gehört zur romanischen Sprachfamilie, stammt aus dem Rätischen und ist noch immer die Muttersprache von über 90 % der Grödner Bevölkerung, d.h. von knapp 10.000 Menschen.
Bei der Kunst wird es noch umfangreicher. Die Holzschnitzerei hat in Gröden eine Tradition, die bis ins Jahr 1600 zurückreicht, als die Familien in den Wintermonaten begannen, Werkzeuge, religiöse Statuen und Spielzeug herzustellen. Erzeugnisse, die sie dann im Frühjahr auf den Märkten verkauften. Im späten 18. Jahrhundert wurde diese Form des Handwerks zu einer wichtigen Aktivität für die lokale Wirtschaft und die Holzschnitzer gründeten eine vielseitige und innovative Kunstschule, die zahlreiche, große Meister hervorbrachte. Heute arbeiten mehr als 200 Künstler und Bildhauer in Gröden und ihre Werke werden in bedeutenden Galerien und Kunstmuseen auf der ganzen Welt ausgestellt.
Das Museum Gherdëina zeugt in Zusammenarbeit mit der Grödner Künstlervereinigung UNIKA von der Kreativität und des künstlerischen Könnens der Einwohner des Tals und beherbergt einzigartige Werke der Bildhauerei und Malerei sowie eine vollständige Sammlung von Grödner Spielzeug, welches im 19. Jahrhundert in die ganze Welt exportiert wurde.
Die ladinische Küche spiegelt die Einflüsse ihrer Ursprünge wider und bietet typische mitteleuropäische Speisen und Produkte wie deftige Fleischgerichte, Knödel, Gulasch, Speck, Würste und Kartoffeln, aber auch Gerichte mit mediterranem Einfluss wie „Crafuncins“ (Tiroler Schlutzkrapfen) oder andere Nudelgerichte. Die vielen Ursprünge der Grödner Küche finden sich wohl im bekanntesten ladinischen Gericht wieder: Die „Tirtles“, frittierte Pfannkuchen mit einer Ricotta- und Spinatfüllung.
Und zu guter Letzt, die Kleidung. Die traditionellen Grödner Trachten zeichnen sich durch Raffinesse, Reichtum an Verzierungen und ihrem großen Wert aus. Nichtsdestotrotz trugen die Bauern anfangs einfache Kleidung, die mit der Zeit durch den Handel mit dekorativen Elementen wie Bändern, Steinen und Stoffen in wunderschöne Trachten verwandelt wurden. Die traditionelle Kleidung wurde dadurch ein Statussymbol, welches bei sehr wichtigen Anlässen getragen wurde.