Vorhang auf für eine außergewöhnliche Weltcup-Ausgabe in Gröden
Auch wenn die Tribünen heuer am Fuße des Zielhangs der Saslong leer bleiben, das VIP-Zelt bei den beiden Speed-Klassikern in Gröden vergeblich gesucht wird – der Vorfreude auf ein sportliches Event der Spitzenklasse tun diese Umstände keinen Abbruch. Die Veranstalter um OK-Chef Rainer Senoner sind in erster Linie froh, dass auf einer der renommiertesten Abfahrtsstrecken der Welt in dieser Woche überhaupt Rennen ausgetragen werden können. Entsprechend groß waren auch die Bemühungen im Vorfeld der 53. Saslong Classic mit dem Super-G am Freitag, 18. und der Abfahrt am Samstag, 19. Dezember.
Der Skisport ist in den vergangenen Jahrzehnten immer professioneller geworden. Und dementsprechend komplex ist es auch, ein Weltcup-Event zu organisieren. Eine Herausforderung, mit der sich alle Veranstalter mittlerweile 365 Tage im Jahr befassen. Fährt an einem Weltcup-Ort der letzte Teilnehmer über die Ziellinie und ist die Siegerehrung vorüber, so beginnen in der Regel bereits die Vorbereitungen für das darauffolgende Jahr. Es gilt Pläne zu entwerfen, Verträge mit Lieferanten und Partnern abzuschließen, Bestellungen zu überwachen, Mitarbeiter einzulernen und vieles mehr. Nach dem Event ist vor dem Event.
Doch im Jahr 2020 war und ist alles anders. Denn im Februar überrollte ein Virus namens Covid-19 die Welt. Nichts war mehr so, wie es vorher war. Alte Gewissheiten hatten über Nacht keine Gültigkeit mehr. Auch dem Skisport hat das Coronavirus zum Ende der Saison 2019/20 übel mitgespielt. Der Weltcup musste vorzeitig abgebrochen werden, das geplante Finale in Cortina – das gleichzeitig die WM-Generalprobe gewesen wäre – fand gar nicht mehr statt. Und auch die Vorbereitungen für die 53. Saslong Classic kamen ins Stocken. Wie wird es weitergehen? Unter welchen Voraussetzungen wird es in Gröden Rennen geben? Wird der Weltcup überhaupt stattfinden? Das waren die Fragen, die sich Rainer Senoner und sein Team im Frühling stellten.
Auf alle Szenarien vorbereitet sein
Doch der Saslong Classic Club reagierte schnell – und gewohnt professionell. Vorstand und Organisationskomitee entwarfen umgehend mehrere Szenarien. Denn man ahnte bereits Ende Mai – als der internationale Skiverband FIS den Weltcupkalender 2020/21 bestätigte –, dass man in der bevorstehenden Saison sehr flexibel wird sein müssen. „Im Optimalfall können wir die Rennen wie gewohnt durchziehen. Wir werden aber auch vorbereitet sein, sofern die Zuschauerzahlen beschränkt werden, oder wir die Rennen vor gar keinem Publikum austragen müssen“, sagte Rainer Senoner damals.
Und so kam es auch. War das Organisationskomitee im Sommer noch optimistisch die Rennen mit reduzierter Zuschauerzahl abwickeln zu können, kamen im Frühherbst nach steigenden Infektionszahlen in allen Teilen Europas erste Zweifel. Im Oktober wurde schließlich in Absprache mit dem internationalen Skiverband FIS, dem italienischen Wintersportverband FISI, der Landesregierung und den lokalen Gesundheitsbehörden entschieden, dass die Speed-Klassiker im WM-Ort von 1970 vor leeren Rängen stattfinden werden.
Großer Rückhalt – auch in der Bevölkerung
Eine Entscheidung, die unumgänglich war. Eine Entscheidung, die nicht nur vom Saslong Classic Club getroffen wurde, sondern von allen Stakeholdern mitgetragen wurde. Vor allem die Tourismusbranche und die politischen Entscheidungsträger in Gröden standen – neben der Südtiroler Landesregierung und allen Partnern – hinter einer Austragung der legendären Rennen unter dem Langkofel. „Dieser Zusammenhalt und diese gelebte Solidarität sind für den Saslong Classic Club ein wesentlicher Antrieb. Trotz der Corona-Pandemie, die uns viele Hindernisse in den Weg stellt, hoffen wir, dass der Weltcup 2020 ein internationales Event voller Leidenschaft für den Skisport wird“, zeigt sich Rainer Senoner begeistert vom großen Rückhalt, den er auch bei der einheimischen Bevölkerung spürt.
Und so können alle Skifans am letzten Wochenende vor Weihnachten wie gewohnt bei den beiden Klassikern auf der Saslong mitfiebern. Zwar nicht vor Ort, dafür aber mit einem Millionenpublikum daheim vor den Fernsehschirmen. Auch in den sozialen Medien und auf der offiziellen Webseite www.saslong.org werden die Veranstalter alle Anhänger schnellstmöglich mit allen zur Verfügung stehenden Informationen und spannenden Hintergrundinformationen eindecken. „Wenn die Fans nicht an die Saslong kommen dürfen, dann wird heuer eben der Weltcup umso mehr zu den Fans kommen“, verspricht Senoner.
Wer strahlt vom Siegerpodium?
Auf die Frage wer bei den Südtiroler Speed-Klassikern zu den Sieganwärtern zählt, gibt es im Vorfeld der 53. Saslong Classic keine klare Antwort. Zu lange liegen die letzten Rennen der abgelaufenen Saison zurück und die Abfahrtsstars waren vor dem Showdown in Gröden nur ein einziges Mal im französischen Val d’Isere im Einsatz. Dass die Saslong aber eine Strecke für die Norweger ist, das ist kein Geheimnis. Von 2012 bis 2018 war jedes Jahr in mindestens einem der beiden Speed-Bewerbe ein Athlet aus Norwegen nicht zu schlagen.
Auch die nackten Zahlen der jüngsten Gröden-Rennen lügen nicht: Von den letzten 15 Bewerben gingen deren neun mit einem Sieg von Kjetil Jansrud und Co. zu Ende, im Super-G triumphierten die Skandinavier sogar in sechs der letzten acht Rennen. Besonders in Szene setzten sich die Norweger im Jahr 2016, als sie im Super-G alle drei ersten Plätze belegten – ein Ergebnis, das zuvor nur der Ski-Nation Österreich 2004 gelungen war. Ein Österreicher stand übrigens auch im vergangenen Jahr nach dem Super-G auf dem obersten Treppchen des Podests: Vincent Kriechmayr feierte auf der Saslong den fünften Weltcupsieg seiner Karriere. Ob der Oberösterreicher heuer womöglich auch in der Abfahrt zuschlägt? Oder kann Dominik Paris in seiner Comeback-Saison für den dritten Südtiroler Triumph beim Heimrennen sorgen? Fragen, auf die es am 18. und 19. Dezember bei einer außergewöhnlichen Grödner Weltcupausgabe eine Antwort geben wird.